Pädagogik-LK:

Zwischen Hühnerstall
und Kriegsschauplatz?

...Der Unterricht beginnt mit dem Schellen. Erwartungsvolle Stille breitet sich über dem Kurs aus: worüber wird heute gesprochen? Der autoritäre Lehrer unterrichtet streng nach Lehrplan. Es herrscht ein Klima allgemeiner Rücksichtnahme und Toleranz. Eifrig recken sich die Finger in die Luft. Jeder möchte sich in das Unterrichtsgeschehen einbringen, formuliert seine Meinung, wird selbstverständlich nicht unterbrochen...

An dieser Stelle werden sicher alle stutzen, die seit 2½ Jahren den Unterricht bei Dr. Giese miterleben, und sicher kann man auch ganze Artikel damit füllen, was der Pädagogik-Unterricht alles nicht ist, aber halten wir uns an die "Tatsachen".

Wie alles begann...

Nachdem in der 11.2 Frau Budde, bekannt durch ihre exzellenten und komplexen Tafelbilder den Pädagogik-LK übernommen hatte, trat in der 12.1 zur großen Freude einiger und großem Schrecken anderer ein etwas aristokratisch aussehender Herr in unsere Mitte, der sich als Dr. Giese vorstellte. Dr. Giese war neu zu unserer Schule gekommen; das führte dazu, daß wir ihn zunächst unterrichteten, was üblich und weniger üblich sei. Allerdings überschnitten sich seine Vorstellungen von Üblichem und weniger Üblichem nicht immer mit den unsrigen.

Dr. Giese, mit einem Idealbild von Schule und Unterricht, in dem Sachverhalte diskutiert und erörtert werden, traf auf eine nicht besonders motivierte Gruppe von 27 Fast-Pädagogen. Da wäre zum Beispiel die Sitzordnung. Natürlich war der Frontalunterricht mit Dr. Gieses Vorstellungen nicht vereinbar und sollte geändert werden. Diese Meinung konnten einige, für die es eine Zumutung war, die Tische 2 Meter hin- und herzuschieben, allerdings nicht teilen. Und dann natürlich die Tafelbilder! Schon bald stellte sich heraus, daß Dr. Giese ein miserabler Tafelbildschöpfer war, und zudem auch deren Sinn anzweifelte. Das war für manche, die Tafelbilder fast als Ikonen betrachteten, natürlich absolut unverständlich. Chaos entstand.

Vor allem vor den Klausuren brach oftmals epedemieähnlichen Hysterie aus, nämlich spätestens an der Stelle, an der Dr. Giese uns eröffnete, daß wir natürlich alles für die Klausur wissen müßten - und im übrigen auch noch die Seiten 30-100 in diversen Büchern. Nicht selten führte das dazu, daß alle durcheinanderschnatterten und das Klima dem eines Hühnerstalls ähnelte. Aber man gewöhnte sich, und spätestens ab der 13 konnte es niemanden erschrecken, was Dr. Giese auf die Frage, was denn so in der Klausur drankäme, antwortete.

Wie alles weiterging...

Mit Diskussionen, Diskussionen, Diskussionen. Und diskutieren konnte man über alles: über die Rolle der Frau (brisantes Thema), Ausländerfeindlichkeit, Kibbuzerziehung, Schule und natürlich darüber, ob man über alles diskutieren solle, müsse. Interesse an den Diskussionen zeigten meistens immer die Gleichen. Die anderen waren scheinbar meinungslos und hüllten sich in schläfriges Schweigen. Bei den Diskussionen passierte es nicht selten, daß sich die Stimmung auflud und Ärger und Unverständnis die Atmosphäre der eines Kriegsschauplatzes ähneln ließen. Dr. Giese, humorvoll und nicht aus der Ruhe zu bringen, war immer aufgeschlossen und versuchte nur dann einzugreifen, wenn ein absolutes Chaos ausbrach, und niemand seine Meinung aussprechen konnte, ohne unterbrochen zu werden.

Und wozu das alles...

Einige Themen haben sicher dazu geführt, daß man über seine Meinung (falls man eine hatte) nachdachte, und sie nötigenfalls auch änderte.

Es ging um mehr, als bloß bereits mundgerecht zerkleinertes Wissen zu schlucken. Daß ein solcher Unterrichtsstil auch Schwierigkeiten mit sich bringt, ist wohl selbstverständlich.

Im übrigen gilt für den Pädagogik-LK, was für alle Fächer gilt: wer etwas lernen wollte, hat das sicher getan, die anderen müssen ohne das Wissen über Piaget, Kohlberg & Co. weiterleben!

Sibylle D.